Konsequenz ist ein Joker

Ganz gleich, was mal aus dem Ruder läuft, mit mehr Konsequenz wäre bestimmt alles viel besser, oder?

Für viele Eltern ist Konsequenz eine Art Joker. Egal was schief läuft, mit mehr Konsequenz wäre bestimmt alles viel besser. Wir hören es von anderen, wir sagen es uns selbst. Manchmal sagen wir es zu anderen. Hat schon mal jemand gesagt, man solle lieber weniger konsequent sein? Viele sind sich sicher: mit mehr Konsequenz wäre einfach alles besser. Die Kinder würden besser hören, die Eltern könnten sich mühelos durchsetzen. Alles wäre viel einfacher. Alles eine Frage der Konsequenz! Oder?

Tina hält sich für eine ziemlich normale Frau. Sie ist manchmal gut gelaunt und manchmal nicht so. Manchmal ist sie müde und hätte gern ihre Ruhe. Manchmal hat sie keine Lust, die „böse Mama“ zu sein und mit den Kindern zu schimpfen. Dann macht sie lieber Quatsch mit ihnen und genießt die Zeit zusammen – mit schlechtem Gewissen, denn im Hinterkopf hört sie ein böses Stimmchen, das „Konsequenz!“ zischelt. Sie fragt sich dann, ob sie strenger werden sollte. Manchmal ist sie streng – aber dann hören die Kinder auch nicht besser. Oma dagegen ist nie streng – trotzdem scheinen die Kinder bei ihr besser zu hören. Tina seufzt. Sie hat mit Freunden darüber geredet. Manchen geht es genau wie ihr, manche geben ihr den Rat, einfach mal konsequenter zu werden.
Eines Tages ist die Stimmung in der Familie besonders angespannt. Tina fühlt sich müde und hat Kopfschmerzen, die Kinder sind unruhig und streiten miteinander. Und dann ruft die Freundin an und sagt das gemeinsame Wochenende ab, auf das sie sich alle schon lange gefreut hatten. Tina will nur noch ihre Ruhe. Sie ruft quer durch die Wohnung, die Kinder sollen ihre Zimmer aufräumen und ins Bett gehen – und niemand reagiert.

Ein Fall für mehr Konsequenz? Wohl kaum.

Es ist gut, wenn Eltern eine klare Linie in der Erziehung haben und die Kinder wissen, welche Regeln und Grenzen in der Familie gelten. Das macht die Lage übersichtlich – für Kinder, die wissen, wie es läuft, aber auch für Eltern, die nicht erst lange überlegen und abwägen müssen, wie mit der Situation umzugehen ist. Deshalb sind Regeln und Struktur oft angenehm, sie erleichtern das Leben, komplizierte Situationen werden einfacher.
Es gibt aber auch viele Gelegenheiten, in denen das einfache „konsequent sein“ nicht der beste Weg für ein gutes Miteinander in der Familie ist. Wenn Kinder nicht tun, was Eltern von ihnen verlangen, liegt es in den seltensten Fällen daran, dass sie nicht wollen. In der Regel haben sie etwas Wichtigeres zu tun: Schlafen? Geht nicht, ich muss unbedingt noch fertig spielen! Anziehen? Geht gerade nicht, ich bin noch so müde! Zähneputzen? Ich muss erst noch unbedingt…!

Sind die Eltern entspannt und guter Dinge, können sie meist problemlos mit solchen Situationen umgehen und lenken ihre Kinder geschickt und ihren Fähigkeiten entsprechend durch die Hindernisse des Tages. Eng wird es, wenn die Eltern selbst müde, hungrig, überfordert oder anderweitig nicht auf der Höhe sind. Dann wünschen sich selbst die Geduldigsten, dass die Kinder „einfach mal hören“.
In solchen Momenten kann es hilfreich sein, erst mal innerlich einen Schritt zurück zu gehen und sich zu fragen: Worum geht es jetzt hier, was ist jetzt wirklich wichtig? Welche Bedürfnisse bei mir und bei den Kindern stehen sich gegenüber? Ist das Kind mit dem, was ich von ihm möchte, im Moment überfordert, auch wenn es das eigentlich schon schaffen könnte? Ist jetzt vielleicht hilfreicher, auf die aktuelle Situation einzugehen, statt eine Regel strikt einzuhalten?

Tina erinnert sich an die Mutter-Kind-Kur in der Klinik Schwedeneck. Viele Frauen dort kannten ähnliche Situationen und hatten ähnliche Fragen wie sie selbst. Allein das hat schon gutgetan und die Zweifel gemindert. Im Schwerpunkt „Positive Erziehung“ ging es um das gute Miteinander in der Familie und darum, wie die Bedürfnisse aller Beteiligten unter einen Hut gebracht werden können. Beim Gedanken an die Kur muss Tina lächeln. Es gab so viele wertvolle Tipps und Anregungen, so viele gute Gedanken und Gespräche!
Und dann entscheidet Tina, den Tag lieber friedlich zu beenden. Sie trinkt ein großes Glas Wasser und hilft ihren Kindern, auf dem Kinderzimmerfußboden einen Pfad von der Tür ins Bett freizuräumen. Sie kuscheln lange miteinander und lesen sich Geschichten vor. Das Aufräumen machen sie am nächsten Tag zusammen und vielleicht werden sie dabei Musik hören und laut mitsingen.

Jedes Familienmitglied kann in einer bestimmten Situation nur begrenzt viel leisten, Kinder genau wie Eltern. Und von einem Menschen mehr zu verlangen, als gerade möglich ist, hat nun einmal keine große Erfolgsaussicht! Eine gute Art von Konsequenz bedeutet gerade nicht, starre Regeln durchzusetzen, sondern flexibel darauf einzugehen, wie es allen Beteiligten gerade geht. Manchmal hilft auch, Zeit zu investieren, die Stimmung zu entspannen und letztendlich dadurch Zeit zu gewinnen. Auf diese Art ist Konsequenz tatsächlich ein Joker!